Wie gut wir funktionieren, ohne wirklich DA zu sein
- Anna Lena Olivas
- 25. Juni
- 2 Min. Lesezeit
Ich funktioniere – aber ich bin nicht da.
Wie Selbstverlassenheit entsteht, warum wir sie nicht bemerken – und was der Körper uns sagen will
Es beginnt harmlos. Du hast viel zu tun, dein Kalender ist voll, du strukturierst, planst, kümmerst dich. Du bist leistungsfähig, schnell, verlässlich. Von außen wirkt alles stabil.
Und doch passiert etwas: Du atmest flacher. Dein Nacken zieht sich zusammen. Du schläfst nicht mehr gut. Du reagierst gereizter. Und irgendwann fragst du dich: Wann genau habe ich aufgehört, mich selbst zu spüren?
Der funktionierende Mensch – und die stille Entfremdung seiner Selbst
Viele Menschen in unserer leistungsorientierten Gesellschaft haben eines gemeinsam: Sie funktionieren brillant. Sie denken, reflektieren, organisieren – oft mit großer intellektueller Klarheit. Aber sie sprechen aus dem Kopf, nicht aus dem Körper. Während sie analysieren, erklären, planen, zieht sich ihr Nervensystem zusammen. Der Atem wird flach. Der Körper fest. Die innere Präsenz schwindet.
Ich kenne diesen Zustand nicht nur aus meiner Arbeit – sondern aus meinem eigenen Körper.
Mein Nervensystem war von Anfang an meines Lebens in Alarmbereitschaft. Ich habe gelernt, zu leisten, zu funktionieren, mich anzupassen – möglichst perfekt. Ich habe alles im Körper gehalten, vieles "überlacht" und vor allem ausgehalten. Wie in einem Theaterstück, in dem ich eine Rolle spiele, um das Publikum zu beglücken. Erst spät gespürt ich wie tief diese Muster saßen. Ich pendelte zwischen aushalten und flüchten. Wenn ich nicht flüchten konnte, würde ich aggressiv. Flucht in neue Projekte und Ideen gab mir frischen Aufwind, um ja nicht diesen tiefen inneren Schmerz zu spüren.
Was mir geholfen hat, war nicht ein neues Konzept – sondern mein Körper und meine Seele. Meditation, Yoga, später die tiefe Körperarbeit: Da, wo der Atem wieder Raum bekam, tauchte auf, was ich bis dahin nicht kannte – Wut, Schmerz, Kraft, Lebendigkeit. Mich selbst als Körper und Mensch so klar zu spüren, war ein Meilenstein. Nicht mehr überlachen. Nicht mehr flüchten. Selbst meine Aggressionen habe ich nicht mehr auf das Leben und andere Menschen Projiziert, da sie ein Ventil gefunden haben- Sie wurden von mir gesehen und gespürt.
Was wir nicht fühlen, ist trotzdem da
Neurobiologisch ist klar: Wenn das autonome Nervensystem über längere Zeit im Überlebensmodus verharrt, verlieren wir den Zugang zur Selbstregulation. Kampf, Flucht, Erstarrung – Reaktionsmuster, die sinnvoll waren, werden chronisch. Der Atem wird flach. Der Körper verdichtet sich. Und oft wissen wir gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, wirklich in einem gesunden, lebendigen Körper zu sein.
Viele Menschen realisieren das erst, wenn der Körper lauter wird als der Kopf: Erschöpfung. Schmerzen. Hautreaktionen. Schlaflosigkeit. Oder dieses dumpfe, schwer zu greifende Gefühl:„Irgendwas stimmt hier nicht.“
Der Körper weiß, was der Verstand lange übersieht.
Zurückkommen durch Spüren.
Der Weg zurück beginnt nicht im Kopf. Nicht durch Analysen – sondern durch Verkörperung. Und genau deshalb arbeite ich körpertherapeutisch: Weil der Körper nichts vergisst. Und weil er – anders als der Verstand – nicht lügt.
Yin Yoga, Yoga Nidra, Atemarbeit, psychodynamische Faszientherapie: Das sind für mich keine Methoden, sondern Erfahrungsräume. In denen du wieder Zugang findest zu dem, was in dir lebt – und lange keinen Ausdruck hatte.
Spüren ist kein Luxus. Es ist die Grundlage für ein wahrhaftiges, lebendiges Leben.

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